Die Nacht senkt sich über Bezau. Geschäfte schließen. Nur im Jagd- und Outdoorgeschäft Deuring brennt noch Licht. Im Hinterzimmer trifft sich die gastfreundliche Familie. Trophäen hängen an der Wand. Ferngläser und Jagdmagazine liegen auf dem Tisch. Albert Deuring sitzt am Computer. Sohn Hubertus schraubt ein Zielfernrohr an eine Langwaffe. Tochter Isabella telefoniert mit einer Kundin und achtet darauf, dass der Laden läuft. Die Geschwister führen das Geschäft in die dritte Generation. Der Umgang mit Waffen ist für sie so selbstverständlich wie Fahrradfahren, das Schießen nur ein Bruchteil dessen, was sie auf der Jagd für den Tier- und Naturschutz leisten. Ihnen geht es um das große Ganze, um die Vielfalt und das Gleichgewicht im Wald. Entgegen vielen Meinungen schützen Jäger*innen unsere Natur. An der Wand hängt ein Gemälde von Isabellas Opa. Auch er hieß Albert und war Büchsenmacher. 1955 gründete er in Bregenz ein Waffengeschäft. 1986 wurde er von einem mörderischen Kunden, der auf der Flucht war und Munition wollte, erschossen.
Sohn Albert übernahm. Als Sportschütze erkämpfte er zahlreiche Staatsmeistertitel, gewann Europa- und Weltmeisterschaften und nahm an Olympischen Spielen teil. Früh zog es ihn in den Bregenzerwald, wo er Angelika, die aus Au stammende Mutter seiner Kinder, kennenlernte. Angelika ging schon als Mädchen lieber auf die Jagd als zur Schule. Die Jagdprüfung machte sie, als sie mit Isabella schwanger war. Ihre sechs Kinder nahmen sie überallhin mit. Ein Sonntag in der Familie Deuring begann damit, dass die Kinder auf die Ladefläche des Pick-ups kletterten und sich unter einer Decke versteckten. Kaum auf der Schotterstraße, streckten sie ihre Köpfe heraus. Die Winter verbrachten sie auf der Piste, alle sechs fuhren im Kader des Skiverbandes. Im Sommer schliefen sie in den Stockbetten der Jagdhütte. „Immer in unwegsamem Gelände unterwegs“, erzählt Isabella. „Man steckte uns in eine Materialseilbahn. Einmal blieb sie stecken. Wir wurden mit Leitern und Seilen geborgen.“ Holz hacken, Feuer machen. „Handys gab es keine. Wir beschäftigten uns mit uns selbst und waren glückselig.“ Euphorisch wurde die Stimmung, wenn jemand mit einem erlegten Tier in die Jagdhütte kam. Schießt Isabella heute ein Reh, geht sie zu einer Tanne, bricht den Wipfel ab – „gibt dem Tier den letzten Bissen“ –, erweist ihm dadurch Ehre und Dankbarkeit, steckt sich selbst den Beutebruch auf den Hut und dem Hund an die Halsung. „Wenn jemand mit einem Bruch auf dem Hut kam, wussten wir, dass gefeiert wird und man eine Leber in der Pfanne brät.“ Isabellas erster Rehbock sollte ein Jährling sein. Der Vater hatte ihn schon länger für sie im Visier. Ein Schuss, ein Treffer. Das verlangte sie von sich. „Das Letzte, was ich will, ist, dass ein Tier wegen mir leiden muss, dann lasse ich es besser sein.“ Ein heißer Tag im Juli.