Die Wanderschuhe sind angezogen, der Rucksack mit genügend Proviant auf dem Rücken, erste Schritte mit meinem Vater Willi in der morgendlichen Bergluft. Noch herrscht auf dem Parkplatz in Schönenbach zwischen uns Stille, Müdigkeit und Kälte sitzen in den Knochen. Doch sobald wir Schönenbach durchwandert haben und die Vorsäßsiedlung hinter einer Kuppe auf dem Weg zu unserem Tagesziel, dem Hohen Ifen, verschwindet, beginnen die Worte zu fließen. Oberflächliche Themen werden schnell aufgegeben, das Gespräch erreicht Tiefe. Hoch oben auf dem Berg wandernd, umringt von der spektakulären Gesteinsformation des Hohen Ifen, spricht es sich besser als an einem Tisch.
Vor uns liegt eine lange Wanderung, in Zukunft werden wir noch oft davon erzählen: über das Erklimmen des Gipfels, von dem langen Weg zurück – auf dem wir uns, den Wegangaben vom Vater sei Dank, sogar etwas auf dem Gottesackerplateau verlaufen – und den Steinböcken, denen wir unterwegs begegnet sind. Das Phänomen des Wanderns als Rahmen und Grundlage für Erzählungen ist Wanderbegeisterten, aber auch großen Denkern bekannt. Schriftsteller wie Johann Wolfgang von Goethe, Hermann Hesse oder Thomas Bernhard ließen sich beim Wandern inspirieren. Gedanken, Gegenwärtigkeit, Gespräche und Geschichten sind mit dem Akt des Gehens eng verbunden.
Wie Wandern das eigene Denken anregt
Bei genauerer Betrachtung ist das nicht verwunderlich. „Wenn wir gehen, (…) kommt mit der Körperbewegung Geistesbewegung“, schreibt der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard. Neurowissenschaftliche Studien beweisen, was er durch eigene Erfahrung erkannt hat: Das Bewegen in freier Natur mit gleichmäßigem Schritt regt das Denken an. Durch die rhythmische Bewegung des Schreitens wird das Gehirn aktiviert. Das liegt an seiner ursprünglichen Funktion: Im evolutionären Prozess ist es darauf ausgelegt, den Organismus zu bewegen. Überspitzt formuliert könnte man also sagen, das Gehirn ist zum Gehen gemacht. Das Gehen fördert die Aktivierung des Gehirns und hilft bei der Formulierung von abstrakten Gedanken. Außerdem bringt das Wandern den Kreislauf in Schwung, ohne dabei die gesamte Aufmerksamkeit und Konzentration auf sich zu ziehen, und bietet so ideale Voraussetzungen für das Denken.
Wandern kann den Wandernden auch ins Hier und Jetzt katapultieren. Wir sind heute allzu sehr an die gebeugte Position vor dem Computer gewöhnt, und Landschaften werden höchstens zum Bildschirmhintergrund. Durch die Aktivierung des Körpers und durch die für die meisten von uns nicht alltägliche Umgebung der Berge können wir die Umwelt intensiver wahrnehmen. Wie wichtig die sinnliche Wahrnehmung für das Verständnis der Welt ist, erklärt der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty. Was man sieht, hört, fühlt, riecht und schmeckt, stellt unsere Verbindung zur Umwelt her. Ohne sie verlieren wir die Bodenhaftung. „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen“, formuliert der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe einen ähnlichen Gedanken. Diese Verbindung zur Umwelt, die physische Wahrnehmung der Textur des Bodens, des Spiels der Lichter auf dem Waldboden oder das Streifen eines Astes am Oberarm, diese Gegenwärtigkeit führt uns auch zur Gesprächigkeit.