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1.5. - 31.10.2024

Architekturbüro Innauer Matt in Bezau © Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus
C Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus

Die Geschichte eines Stalls

Die Geschichte eines Stalls

Erst beherbergte er Kühe, dann ein Fotoatelier mit all den Bildern der Menschen aus dem Bregenzerwald. Nun ist er zum Atelier der Architekten Markus Innauer und Sven Matt geworden – der Stall eines alten Bregenzerwälderhauses an der Bezauer Dorfstraße.

Das Haus an der Bezauer Dorfstraße ist im ganzen Tal bekannt: Erst standen im Stall Kühe, später Skulpturen eines Bildhauers und schließlich war es jahrzehntelang das Geschäft der Fotografenfamilie Hiller. Nun wurde das alte Wälderhaus saniert und umgebaut. In den einstigen Fotoladen im Erdgeschoß waren schon vor der Sanierung die Architekten Markus Innauer und Sven Matt eingezogen.

Der erste Auftrag des legendären Leopold Kaufmann

An den Scheiben der großen Auslage des Ladens, einem hohen Fenster zur Straße hin, haben sich Generationen von Dorf- und Talbewohner*innen die Nasen plattgedrückt, um die neuesten Fotografien zu studieren. Fotos, die bei Familienfeiern und Dorffesten gemacht wurden, bei Erstkommunionen, Taufen, Beerdigungen, bei Heuernten, Faschingsumzügen, Maskenbällen und Skirennen. Fotografien in Schwarzweiß und in Farbe. Später warf ein Diaprojektor Bilder im Schnelldurchlauf an eine Leinwand. Eine Chronik des Talgeschehens hinter Glas. Mitte der 1990er-Jahre war das Fotogeschäft geschlossen worden. Seine Auslage gibt es heute noch. Anstelle von Fotografien sind jetzt Architekturmodelle zu sehen – in feinen Regalen aus Holz, die wie auch alle anderen Möbel des einstigen Geschäfts liebevoll restauriert wurden. Raum und Ausstattung stammen aus den frühen 1960er-Jahren. Damals hatte die Fotografin Hedwig Berchtel-Hiller den jungen Bezauer Architekten Leopold Kaufmann mit dem Umbau beauftragt. Der Einbau von Fotoatelier und Laden in den einstigen Stall sollte zum bahnbrechenden Erstlingswerk des Architekten werden. Kaufmann prägte bis zu seinem Tod 2019 die Baukultur in Vorarlberg mit und begleitete ihre Entwicklung als streitbarer Beobachter. Die Ausführung des Fotostudios hatte 1963 zu heftigen Diskussionen geführt: Vor allem die Komplettverglasung der einstigen Stallwand war im Tal als sehr ungewohnt empfunden worden. Die Aufregung sollte sich jedoch bald legen.

Ein Raum mit gleichmäßigem Licht und kaum Schatten

Material, Ausführung und die Öffnung des Raums über zwei Stockwerke wirken noch heute im ursprünglichen Wortsinn modern, visionär, mit der großzügigen Leichtigkeit der 1960er- Jahre, geradlinig elegant, bis ins kleinste Detail durchdacht und perfekt ausgeführt. Heute haben die Architekten Markus Innauer und Sven Matt ihre Schreibtische dort, wo einst die Garderobe des Studios war, und nutzen das unaufdringliche Nordlicht. „Der Raum wirkt auf alle, die ihn betreten. Er ist offen, leicht und das Licht ist da, verteilt sich gleichmäßig, ohne Schatten zu erzeugen. Das ist wichtig, wenn man mit Plänen und Modellen arbeitet. Und wenn man als Architekt auf Details schaut, sieht man, wie Leopold Kaufmann hier seine Ideen entwickelt und passgenau ausführen hat lassen“, sagt Sven Matt. „Zum Beispiel die tragenden Balken, die hier sehr prominent sind. Diese hat Leopold doppelt ausgeführt und dafür schmal gemacht, das wirkt viel leichter. Auch die Übergänge sind sehr fein, man sieht kluge Überlegungen in exakter Ausführung.“

Mit Feingefühl das Werk eines Kollegen erhalten

Das Geschäft mit seinen Sicht-Ziegelwänden hat schwarze Bitumenfliesen am Boden. „Die werden seit langem nicht mehr hergestellt. Wir brauchten Ersatz und hatten Glück, im Keller wurden noch zwei Stück gefunden. Die sind bei der Errichtung vor sechzig Jahren liegen geblieben.“ Die Türen sind bündig in die Wand eingelassen. „Heute ist das Standard, damals war es ein absolutes Novum. Da mussten die Handwerker die Scharniere anders einsetzen und ganz bestimmt ordentlich tüfteln.“ Die einstige Dunkelkammer war ein Einbau, der mitten im großen Raum liegt und heute als Kaffeeküche dient. Alles ist weitgehend original erhalten. Nur die Glasscheiben wurden durch neue ersetzt und die Arbeitstische, auf denen früher Negative gesichtet und Retuschen von Fotografien vorgenommen worden waren, wurden leicht erhöht. „Wir heute sind eben doch größer als die Menschen vor bald siebzig Jahren.“ Die Geschäftsausstattung von einst wurde umfunktioniert: In der Postkartenhalterung stecken heute Fotos von Architekturprojekten und Flyer von Veranstaltungen. „Noch immer kommen viele Menschen zu uns, noch immer ist das Büro eine Art Umschlagplatz des Dorflebens.“

Die frühere Theke des Geschäfts steht heute noch mitten im Raum, ist Begegnungsfläche, über ihr werden Hände geschüttelt, auf ihr Pläne ausgebreitet und Kaffeetassen abgestellt. Neu sind die Schreibtische der Architekten und die großen Computerbildschirme darauf. Markus Innauer: „Klar, wir entwickeln noch Ideen, indem wir mit der Hand zeichnen, aber weitergeplant wird auch bei uns ausschließlich digital. Dass wir beide heute unser Büro hier im Bregenzerwald, in unserer Heimat haben, hat viel, vielleicht fast alles mit diesem Raum zu tun. Aber eben auch mit der Möglichkeit, von Bezau aus eine Kunsthalle für Kassel, ein Strandbad am Bodensee oder eine Bergstation für Innsbruck zu planen. Wir sind gern hier, die Distanz zu den Städten erdet uns. Obwohl es nie geplant war, hierher zurückzukommen, könnten wir es uns heute nicht mehr anders vorstellen.“

Bregenzerwald in Bildern: Archiv mit 100.000 Fotografien

Es war 2012, als Innauer und Matt das bereits seit langem leerstehende Fotogeschäft in Bezau betraten und instant die Idee hatten, hier ihr gemeinsames Büro zu gründen. „Wir haben uns in der Sekunde schockverliebt in diesen Raum“, sagt Matt. „Wir mussten Hedwig versprechen, nichts im Studio zu verändern – dann dürften wir ,einziehen‘. Das Versprechen haben wir gern gehalten.“ 2017, nach dem Tod von Hedwig Berchtel-Hiller, erbte ihr ältester Sohn Rudolf Berchtel das Haus – mitsamt dem neuen Architekturbüro im früheren Fotoladen. Bereits fünf Jahre zuvor hatte Rudolf mit seinen beiden Geschwistern Ursula und Georg nach dem Tod des Vaters ein weiteres wertvolles Erbe angetreten: 100.000 Fotos aus fast hundert Jahren vom Großvater Rudolf Berchtels, Kaspar Hiller. Er war der erste Fotograf des Bregenzerwaldes. Die Fotos lagerten in Schachteln am Dachboden des alten Hauses. Ein Schatz, den Berchtel heben wollte. „Es war eine sehr aufregende Zeit, die Kisten sind ja lange Zeit ungeöffnet geblieben. Darin lagen schwere Glasplatten, die Fotonegative meines Großvaters. Was macht man mit diesen Negativen, habe ich mich damals gefragt. Denn die sind in dieser Form ja nicht nutzbar, die Bilder darauf nicht erkennbar.“

Rudolf Berchtel entschied sich, die Bilder zu digitalisieren. „Ich habe mir einen Scanner gekauft und jede Glasplatte einzeln aufgenommen, erfasst und eingetragen. Eine ordentliche Archivierung war aber nur möglich, weil mein Großvater akribisch Buch geführt hat: Jede Glasplatte hat eine Nummer, die findet sich in einem Buch, in dem zu jeder Nummer der Name und der Anlass für die Fotografie verzeichnet sind. Also etwa: Nummer soundso: Firstfeier Neubau Volksschule mit Datum oder Nummer und Name soundso, Porträt zum 60. Geburtstag. Das war notwendig, nur so konnten Nachbestellungen von Fotos ausgeführt werden.“ Die Beschäftigung mit den Glasplatten wurde für Rudolf Berchtel zur Zeitreise in Bildern. Einmal in die Geschichte des Bregenzerwalds: Der Großvater hatte alle wesentlichen Entwicklungen im Tal festgehalten, vom Bau von Skiliften bis zu den Jubiläumsfeiern der Bregenzerwälderbahn. Es war aber auch eine Reise in die persönliche Familienbiografie. Der Großvater war zunächst Maler und Bildhauer, im Stall entstanden Skulpturen, die er als Autodidakt schuf. Bereits früh war Hiller von der Fotografie fasziniert. Die erste Kamera fertigte er aus einer Zigarrenkiste, später wurde daraus sein Beruf. 1923 eröffnete er das Fotogeschäft. Seine Frau Maria und sein Sohn Kaspar junior führten es ab 1946. Nach dem frühen Tod von Kaspar junior übernahm Hedwig 1958 das Fotostudio. Sie wurde die erste Berufsfotografin des Tals und führte das Erbe weiter. Auch das Buch mit den Eintragungen.

Neubau im Geiste der Haustradition

Nachdem Hedwig Berchtel verstorben und das Fotoerbe in die Sammlung des Bregenzerwald Archivs übergegangen war und für eine Ausstellung im vorarlberg museum vom 27. Mai 2023 bis April 2025 aufbereitet wurde, musste entschieden werden, was mit dem Haus in Bezau passiert. „Dass es erhalten bleibt, war klar“, sagt Rudolf Berchtel. „Es ist das Haus meiner Familie und Kindheit. Sven und Markus wollten ihr Büro ins Dach über den Fotoladen erweitern und ich habe mir überlegt, ins Vorderhaus einzuziehen. Doch schnell zeigte sich, dass das Gebäude nicht zu sanieren war. Also mussten die Architekten tüfteln.“ So ist rund um den original erhaltenen Fotoladen ein neues Gebäude entstanden, das Elemente der Formensprache eines alten Bregenzerwälderhauses übernimmt und damit spielt, ohne sich anzubiedern, und im Inneren Komfort für Wohn- und Arbeitsplatz schafft, der den heutigen Ansprüchen nachkommt. „Für die Erweiterung unseres Büros wollten wir die Ideen Leopold Kaufmanns aufnehmen und weiterschreiben“, sagen Innauer und Matt.

Eine hängende Treppe aus dunklem Metall bildet den Übergang in das obere Geschoß. Dort findet sich das Raumkonzept des Fotoladens wie gespiegelt: Richtung Süden unter dem großen Vordach ein großes Fenster, das Licht für die Arbeitsplätze bringt, eine hohe Decke und die zarten, eleganten Balken, die bereits das Untergeschoß prägen. Rund zehn bis zwölf Mitarbeitende sind mittlerweile im Büro von Innauer-Matt beschäftigt. Im Vorderhaus wurden im Erdgeschoß zwei Wohnungen errichtet, für Architekt*innen, die hier projektweise angestellt sind. „Wir mögen das sehr, wenn in unserem Büro ein, zwei Mitarbeiter*innen jeweils von außen kommen, eine andere Sprache sprechen. Das tut uns allen gut. Da es aber in Bezau sehr schwierig ist, eine Wohnung für ein Jahr zu finden, ist das jetzt die perfekte Lösung.“ Über den Wohnungen für die Mitarbeiter*innen liegt das Reich Rudolf Berchtels. Eine zweistöckige Wohnung, die nach dem Eingangsbereich in einen großzügigen, offenen, hellen Küchen-Wohnraum führt, der sich über zwei Stockwerke und die gesamte Breite des Hauses erstreckt. Wo früher kleine Räume, wie die Stube und das Elternschlafzimmer, mit niedrigen Decken waren, ist jetzt Luft überm Kopf bis unters Dach. Gemütlich ist es trotzdem, dafür sorgen Materialien wie Holz und Stein sowie ein zentraler, raumhoch eingebauter Kachelofen, schlicht weiß gekalkt. „Bevor die Wohnung fertig war, habe ich schon etwas gebraucht, bis ich mich in der Vorstellung vom alten Haus verabschiedet habe“, erzählt Berchtel. „Seitdem ich eingezogen bin, ist das gänzlich anders. Es stimmt für mich bis in jede Ecke, auch wenn die Räume neu sind.“

Was die Architekten belassen haben, sind Positionen und ungefähre Größe der Fenster. Neu ist deren Ausführung. „Wir wollten die Anmutung der Fenster des Bregenzerwälderhauses bewahren“, erklärt Markus Innauer. „Aber wir wollten keine Nachbauten der alten Doppelfenster. Gemeinsam mit Claus Schwarzmann, dem Experten im Wald, wenn es um Fenster geht, haben wir dann diese dreigeteilten Fenster entwickelt. Die Mittelteile lassen sich öffnen, die flankierenden Scheiben sind fix, durch die Längs-Holzstreben erinnern sie an die alten Fenster und sprechen doch eine völlig neue Sprache.“ Im Obergeschoß der Wohnung über dem Eingangs-, Schlaf- und Badbereich liegen die Arbeitsräume von Rudolf Berchtel. Ein Büro mit Schreibtisch und das Musikzimmer. Eine Orgel steht an der Holzwand, daneben ein Cembalo. Eben erst zum Mobiliar hinzugekommen ist ein samtenes Sofa in dunklem Grün. „Das stammt noch von meinem Großvater aus dem alten Haus, es wurde eben erst fertig restauriert und geliefert“, freut sich Berchtel. Für ihn schließt sich ein Traditionskreis, wenn er an diesem Platz in seinem neuen Haus auf dem Sofa sitzt und sein Blick aus dem Fenster fällt. Im Sommer wird der Wind Berchtels Orgeltöne über die Wiesen Richtung Kanisfluh tragen, dorthin, von wo bereits sein Großvater die Kameralinse auf Bezau gerichtet hatte. Eine „Korrespondenz“ über die Zeit hinweg.

Autorin: Carina Jielg
Ausgabe: Reisemagazin Bregenzerwald – Winter 2023-24

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