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Der Nutzen

Der Nutzen

Armin Thurnher beschreibt uns die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Nutzen“ im Wald.

Der schöne Bregenzerwald ist eine herrliche Vorarlberger Kulturlandschaft. Das bäuerliche Leben war dort schon vor Jahrhunderten hoch entwickelt. Früh haben sich demokratische Formen gebildet. Die Eliten, die reichen Käsehändler, kamen zu solchen Vermögen, dass einzelne im frühen 19. Jahrhundert Logen in der Mailänder Scala unterhielten. Die hohe Kulturstufe des Bregenzerwaldes kann man an seinen Bauten ablesen. Sie erweist sich nicht nur in der Erhaltung des wunderschönen alten Bauernbarocks, sondern auch in der Erneuerung durch die Tradition modernen Holzbaus in zeitgenössischer Architektur.

Es sind sparsame, hart arbeitende, mitunter auch verschlagene Leute, die zu solcher Kultur fähig waren. Wie hart das Leben auf der Schattenseite dieser blühenden Kultur sein konnte, lässt sich der einschlägigen Literatur entnehmen, etwa den Werken des Franz Michael Felder, vor allem seiner empfehlenswerten, vor ein paar Jahren von Peter Handke herausgegebenen Autobiografie „Aus meinem Leben“. Felder hatte sich autodidaktisch vom armen Bauernbub zum Schriftsteller gebildet. Eines ist klar: Die „Wälder“, wie man die Bewohner des Bregenzerwaldes in Vorarlberg nennt, hatten nie etwas zu verschenken. Das vergisst der Tourist oder der Skifahrer, dessen Augen sich an der Natur sättigen, die sommers wie winters im Überfluss vorhanden ist, ohne dass er Eintrittsgeld zu bezahlen hätte. Freuen wir uns, dass man noch weder Blicksteuer noch Panoramataxe einhebt!

Lassen wir uns aber nicht über die Natur der Dinge täuschen. Wir leben im Zeitalter des Nutzwerts, wo nichts einfach schön sein oder bloß so vor sich hin existieren darf. Alles muss für etwas gut sein, zu etwas nütze, für ein Geschäft zu brauchen. An einen einschlägigen Brauch erinnerte man bei mir zu Hause gern mit einer Schnurre. Ehe der Besuch das Haus eines „Wälders“ verließ, sagte man, hatte er „den Nutzen“ dazulassen. Das heißt, er hatte sich, nachdem er mit Speis und Trank versorgt worden war, insofern zu revanchieren, als er sich aufs Plumpsklo begab und einen Teil des Angebotenen in verdauter Form dem Düngervorrat des Gastgebers hinzufügte. Dieser dagelassene Rest hieß eben: der Nutzen. Wälderisch gesprochen: „d’r Nutzo“.

Diese Geschichte erzählte mir mein Vater, in dessen Dornbirner Elternhaus ich selbst noch auf einem Plumpsklo saß, winters den Hintern in der Kälte, sommers umsummt von Fliegen, die Nase umsäuselt von scharfen Ammoniakdünsten. Der Großvater holte die nützliche Brühe später mit einem Schöpfer aus der Senkgrube und verteilte sie im Garten, um Obstbäume und auf das Gemüse, damit alles wachse und gedeihe und die Familie nicht darbe. Daher stammen auch das Wort „schöpferisch“ und seine Ableitungen, aber das nur nebenbei. Ich musste diese Geschichte einmal erzählen, weil mir kaum ein zeitgenössisches Wort so sehr auf die Nerven geht wie der Nutzen und seine Derivate, der Nutzwert, der Zusatznutzen und die Nutzerfreundlichkeit. Medien zum Beispiel brauchen keine Botschaft, keine Idee, keine Formulierung und keinen Einfall. Sie brauchen einen Nutzwert. Was heißt Medien! Produkte überhaupt.

Kürzlich las ich über den Chef eines Autokonzerns, er denke gar nicht daran, ein neues Modell einzuführen, wenn es nicht einen erheblichen Mehrnutzen aufweise. Ein Auto dient nicht mehr dazu, mich von A nach B zu bringen, es findet seinen Zweck, wenn sein Besitzer einen Abend lang im garagierten Fahrzeug sitzt und mit der Gebrauchsanweisung in der Hand ausprobiert, was es alles kann. Alles muss nützlich sein, einem Zweck unterworfen. Aber nur scheinbar. Nirgends kann man sich mehr hinbegeben, ohne dass einem eine Dienstleistung entgegenbleckt: „Ich bin dein Nutzen!“ In manchen verkommenen Tourismusgegenden der Welt kann man angeblich keiner Frau mehr das Lächeln glauben, weil einen nur mehr der prostituierte Nutzwert anlächelt. Man erfand uns den Zusatznutzen, steigerte ihn zum Mehrnutzen, und alles kommt so unglaublich benutzerfreundlich daher. Wir sind von Nutzen umstellt, das Nützlichkeitsgebot artet zum Nützlichkeitsterror aus.

Eine Selbstverständlichkeit wie korrekte und rasche Bedienung wird mir zur Belästigung, wenn sie als ostentative Nutzerfreundlichkeit daherkommt. Am Ende, wenn einem die Atemluft mit jedem Atemzug ihre Nützlichkeit vorrechnet, wenn es nichts mehr gibt, was nicht nur nützlich ist, sondern auch als nutzwerthaltig ausgeschildert, bleibt die Nutzlosigkeit das einzige, mit dem man sich und sein Produkt von all den Nützlichkeiten zu unterscheiden vermag. Nutzlosigkeit ist mittlerweile der ultimative Nutzen. Von sich, seinem Produkt und seiner Tätigkeit sagen zu können, sie seien unnütz, wäre der höchste Luxus. Wenn es nur gelänge. Ich schaffe es nie. Wer weiß, wozu die Leserschaft die Einsichten, die sie in dieser Kolumne erfahren hat, nutzen kann! Ich werde mich in den Bregenzerwald zurückziehen, um darüber nachzudenken. Es gibt gewisse einsame Felsengipfel, deren Nutzen als ungesichert gelten darf. Moderne sanitäre Anlagen haben sie dort mittlerweile überall.

Autor: Armin Thurnher
Ausgabe: Reisemagazin Sommer 2011

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