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Der ferne Wald

Der ferne Wald

Ist es nicht das stärkste Zeugnis für einen Sehnsuchtsort wie den Bregenzerwald, wenn er einen Dichter wie Eduard Mörike, nie verlegen um die Schilderung der Natur, zum Schweigen bringt?

Aus der Ferne kommt er mir immer näher. Nicht im Sinne von Macbeth, dem sich die unheilvolle Prophezeiung erfüllt, als der mörderische König den wandelnden Wald von Birnam erblickt. Nein, ohne von dieser Kolumne irgendeine Kenntnis zu haben, sprechen mich Freunde und Bekannte in regelmäßigen Abständen auf den Bregenzerwald an. Vor kurzem wollten sich welche mit mir verabreden, um dort ein Architekturwochenende zu verbringen. Es ist natürlich nicht nur die Architektur, die sie sehen möchten, die könnten sie fast überall haben. Es ist die Verbindung von Landschaft und Häusern, von Altem und Neuem, die sie anzieht. Kürzlich kam der Wald ins Gespräch, als Dietmar Steiner, legendärer Architekturkritiker, als Chef des von ihm gegründeten Architekturzentrums Wien zurücktrat. Befragt, was denn sein liebstes Projekt gewesen sei, antworte er, der Dutzende Ausstellungen, Symposien und Kongresse initiiert hatte, ohne zu zögern: die Bushaltestellen in Krumbach im Bregenzerwald. Steiner hatte sie kuratiert, und das Zusammenspiel von Gemeinde, Bevölkerung, Handwerkern, ausführenden Künstlern und Sponsoren schien ihm unvergleichlich gut gelungen. Mir scheint, der Wald wird immer mehr zu einer Art moderner Sehnsuchtslandschaft. Ähnlich wie es die Toskana in den 1970er Jahren war, die damals der Sehnsucht einer ortlosen Linken – die sich zuhause nicht verwirklichen konnte – eine Landschaft bot, Kunst, Städte und Gastronomie inklusive, so scheint mir der Wald heute für ein desorientiertes Bürgertum ein möglicher Bezugspunkt zu sein.

Man spürt, Zerstörungen des Fortschritts werden hier vermieden, ohne dass dieser selbst außen vor gehalten wird. Anderswo regieren Verfall und Landflucht oder wucherndes Wachstum der Speckgürtel, dieser halb urbanen, halb ruralen Zonen eines gewaschenen modernen Pelzes, der nie nass wird. Anderswo ist moderne Architektur hässlich, zur sogenannten Landmark aufgeblasen und nur im Ausnahmefall schön, nämlich dem Ort nicht angepasst, sondern eingefügt. Landmarks können in manchen Fällen angemessen sein, wenn aber jeder Neubau eine Landmark sein möchte, leiden Land und Mark. Nur in einer eingepassten Architektur, das heißt einer, die in der Form kompromisslos bleibt, aber auf die Maße Rücksicht nimmt, kommt auch das schöne Vorhandene zur Geltung. Natürlich ist es wichtig, dass dieses Vorhandene seine Geltung rechtfertigt. Die Wälder Bauernhäuser bilden den ästhetischen Fond dieser Sehnsuchtslandschaft. Kürzlich starb mein lieber Onkel. Meine Schwester gab mir aus seiner Hinterlassenschaft ein sogenanntes Beiheft des Franz-Michael-Felder-Vereins, das Reiseberichte des 19. Jahrhunderts über den Bregenzerwald versammelte. Mir fiel der Bericht Mörikes auf. Der Dichter, heute als Idyllenproduzent unterschätzt, hat einmal mit seiner Frau 1857 einen Urlaub in Schwarzenberg im Bregenzerwald verbracht, drei Wochen am Stück. Er hat von Schwarzenberg aus das Hochälpele erstiegen, was auch mit der Benennung eines Wanderwegs nach ihm gewürdigt wird. Das scheinbar Bedauerliche an Mörikes Aufenthalt ist nur, dass er kein Gedicht, ja nicht einmal ein Tagebuchstück darüber hinterlassen hat, keine Andelsbucher Anabasis, obwohl er zu Fuß nach Bezau wanderte, auch keine Bezauer Ballade, kein Dorener Distichon, kein Schwarzenberger Sonett, ja nicht einmal einen Hittisauer Haiku.

Nichts, was sich ausschlachten oder verwenden ließe, außer einer Zeichnung. Nur aus Berichten anderer wissen wir, was der Dichter empfand und warum er schwieg. Mörike schwieg, weil er vom Anblick und den Eindrücken der Landschaft überwältigt war. „Die Gegenwart überfunkelt alles“, soll er gesagt haben. Wir wissen es aus den Briefen seiner Ehefrau Margarethe von Speeth, die einiges vom Aufenthalt der beiden im Wald überliefert. Vielleicht kommen wir darauf noch einmal zurück, für heute aber möchte ich mich an Mörikes Schweigen halten. Ist es nicht das stärkste Zeugnis für einen Sehnsuchtsort, wenn er einen Dichter wie diesen, nie verlegen um die Schilderung der Natur, zum Schweigen bringt? Auch für die Mörikes war es das Zusammenspiel von Natur und Kultur, das eine gelungene Sehnsuchtslandschaft ausmacht. „Wir sind nun tief im Wald, wie abgeschnitten von jedem Laut der lärmenden Welt. Es ist wunderbar. Von allen Seiten reicht der Wald bis zu den Häusern hinunter, und doch ist es frei und licht überall …“ Die wohlhabenderen Häuser, mit „Schindelpanzern umkleidet“, stehen „auf Wiesenplätzen da, wie wenn sie nur hingestellt und nicht benützt wären,“ berichtet Margarethe. Schaut man hin, entgeht einem das Leben zwar nicht. Aber noch heute spürt man, was Mörike gefühlt haben mochte. Sollte der Wald als Landschaft Menschen dazu bringen, einen Augenblick auf Instant Gratification zu verzichten und ihn nicht reflexartig digital zu betexten, bebildern oder beschwatzen, wäre er meiner Vorstellung eines Sehnsuchtsorts noch ein Stück näher gerückt.

Autor: Armin Thurnher
Ausgabe: Reisemagazin Sommer 2017

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