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Wie Hören und Sehen vergehen

Wie Hören und Sehen vergehen

Der Philosoph Peter Natter nimmt sich im Bregenzerwald ein Buch vor und liest es mit Blick auf seine unmittelbare Umgebung. Diesmal: Ingeborg Bachmann

Dass die WälderInnen nicht auf jeden Zug aufspringen, mag auch daran liegen, dass in ihrer Region keiner (mehr) fährt. Man sollte das letztlich doch jähe und abrupte Ende des Wälderbähnles auch einmal unter diesem stark ideellen Aspekt betrachten, nicht immer nur unter geologischen oder gar ökonomischen Kriterien. Oder war es mehr ein langsames Sterben, ein stetes Dahinsiechen?

Den Fotos nach zu schließen, die zu verschiedenen Anlässen prachtvoll geschmückte Bahnhöfe und Zuggarnituren zeigen – etwa noch im Jahr 1980 beim Empfang des Olympiasiegers Toni Innauer –, gab es durchaus Zeiten, in denen der Wald bereit war, auf den Zug der Modernität aufzuspringen, Anschluss zu suchen, teilzunehmen. Und heute? Eine Museumsbahn auf arg verkürzter Strecke, mehr nicht. Das ist ein bisschen wenig, oder? Verdächtig wenig.

Das Alte zu ehren und das Neue zu grüßen: Das Wort des Bizauer Dichters Gebhard Wölfle (1848 – 1904) ist in vieler Munde und entsprechend strapaziert. Überhaupt: Wo wenig ist, wird das Wenige umso mehr strapaziert. Das ist normal, aber deswegen nicht unbedingt positiv. Was heißt es denn, das Alte zu ehren, das Neue zu grüßen? Wie ehrt man Altes, wie grüßt man Neues? Heißt ehren ins Museum stellen, abstauben dann und wann? Heißt grüßen „Servas! “ sagen, unverbindlich? Was bedeutet es schließlich, um zum Thema zu kommen, eine Dichterin zu ehren? Die Ehre könnte durchaus darin bestehen, sie neu zu lesen. Neu: oder wieder oder endlich.

Endlich Ingeborg Bachmanns (1926 – 1973) Werke zu lesen, auch wenn sie einer anderen Zeit, einer vergangenen Epoche anzugehören scheinen, und einer ganz anderen Weltgegend. Aber gehört Literatur in eine Gegend? Gehört Literatur einer Gegend? Gehört denn irgendetwas irgendjemandem oder irgendwohin? Was gehört sich überhaupt? Es stimmt wohl, was der US-amerikanische Dichter Walt Whitman schreibt: „Es macht einen enormen Unterschied, wo man liest.“ Doch das hat wieder einmal mehr mit der Leserin und dem Leser zu tun als mit dem Gelesenen, vermute ich, weil eben „jeder Leser, wenn er liest, ein Leser seiner selbst ist“, wie das Diktum des französischen Romanciers Marcel Proust lautet.

Nun also Ingeborg Bachmann im Bregenzerwald gelesen, im stillen Häuschen in der Großdorfer Parzelle Sieban, an einem nebligen, verregneten Spätsommerwochenende. Der erste Band einer neuen Werkausgabe, mit der die Dichterin ebenso geehrt wie in der Gegenwart begrüßt wird. Eine noble Ausstattung, Leineneinband, ein seidenglänzendes Lesebändchen, ein sorgfältig gestalteter Schutzumschlag: Ehre, wem Ehre gebührt. Die Bachmann war eine große Dichterin. Die Begrüßung fällt herzlich aus, ausgiebig, also kein schnelles „ Servas“, sondern empathische Umarmungen, echte Dialoge. Im Buch nimmt das die Gestalt eines umfangreichen Kommentarteils an, mit dem das Werk im Heute situiert wird, oder besser: für uns Heutige, die wir ja in diesem Heute stets etwas verloren herumtappen, wenn die Verknüpfung mit dem Gewesenen nicht klappt oder die Orientierung aufs Kommende. (Denn dass etwas war, ist ebenso wenig von der Hand zu weisen wie, dass etwas kommt: und zwar ständig.)

Um die Metapher vom Zug nochmals zum Zug kommen zu lassen: Auf einen Zug aufzuspringen oder auch nur in einen Zug einzusteigen, mag oft gerechtfertigt, ja notwendig und schön und gut sein. Dann ist es aber zu gegebener Zeit auch das Gegenstück: abzuspringen, auszusteigen. Frage: Welches von beiden ist schwieriger? Ich meine: Letzteres. Einsteigen, aufspringen ist noch relativ harmlos. Schon bist du oben, auf dem Trittbrett zumindest (das es früher wirklich noch gab) und der Fahrtwind saust dir um die Ohren, dass dir Hören und Sehen vergeht. Das Schwierigere ist der Ausstieg, das Abspringen gar, denn allzu schnell hast du einen Schwung drauf, der nicht deiner ist. Exakt davon erzählt der erste Band der neuen Bachmann- Werkausgabe. Er bringt unter dem Titel „Male oscuro. Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit“ sehr private Texte der Ingeborg Bachmann: Traumnotate, Briefe, Brief- und Redeentwürfe aus schwerer Zeit: Liebesdesaster mit dem Schweizer Autor Max Frisch, der auch einer war, der leicht etwas angefangen und sich mit dem Aufhören, dem Schlussmachen, dem Aussteigen sehr schwer getan hat; Klinikaufenthalte, psychischer Zusammenbruch, Sucht, Zweifel und Verzweiflung.

Gut, dass es neblig und grau ist draußen, denn Sonnenschein passt zu dieser Lektüre schlecht. Es ist eine Lektüre, die tief ins Private der Autorin vordringt: „Ist diese Aufmerksamkeit für die autobiographische Wahrheit nicht ein Sakrileg für die Literaturwissenschaft und für die Literaturkritik?“, steht im Vorwort des Buches, und weiter: „Verstößt die Veröffentlichung von Traumnotaten, Briefen und Rede- Entwürfen nicht gegen die Gebote der Diskretion, gegen das Briefgeheimnis und den Schutz der Privatsphäre? Ja, die hier vorgelegten Texte verstoßen gegen Schweigegebote, die den kranken Menschen schützen sollen, von denen sich der kranke Mensch aber auch umstellt sieht, und das nicht nur aus guten Gründen. Ingeborg Bachmann wäre an diesem Schweigen und einer falsch verstandenen Diskretion fast zugrunde gegangen.“ Damit schließt sich der Kreis: Auf den Zug der Zeit aufzuspringen oder ihn vorüberfahren zu lassen, zu schweigen oder zu reden, zu verschweigen oder zu erzählen: Die dogmatischen Lösungen sind problematisch. Denn das Alte zu ehren und das Neue zu grüßen, das sind nicht zwei Sachen, es ist eins! Das Alte wird ins Neue überführt und das Neue wird am Alten gemessen. Das Alte ist kein Gerümpel, das Neue nicht die Erlösung. Die Ingeborg-Bachmann- Werkausgabe ist keine Museumsbahn und kein ICE. Sie ist ein langer, langer Zug, eine Transsibirische Eisenbahn oder ein Orient-Express, etwas in der Art. Dass ich ins Großdorf, in den Bregenzerwald gehen muss, um das zu erfahren, ist eine wichtige Lektion.

Autor: Peter Natter
Ausgabe: Reisemagazin Sommer 2018

Ingeborg Bachmann:
Male oscuro.
Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit.
Suhrkamp Piper, 2017

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