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1.5. - 31.10.2024

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C Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus

Natters Wanderungen

Natters Wanderungen

Wie immer in dieser Serie sucht der Philosoph und Schriftsteller Peter Natter die Seele der Region Bregenzerwald in der Natur – und in dem, was die Menschen hier ihr mühsam abgerungen haben.

Die Seele suchen, nicht den Leib. So werde ich meine Leserinnen und Leser nicht ein weiteres Mal mit der Schilderung von Postbusfahrten, Verpflegung und Unterkünften unterhalten oder traktieren. Denn was hat die Seele mit dem Leib zu tun? Viel, ich weiß. Oder nichts. Das könnte an einem sorgfältig gewählten Punkt, dem archimedischen vielleicht, auf dasselbe hinauslaufen.

Ihn suche ich. Auch die Seele des Bregenzerwaldes ist eine „seltsame Schleife“ (Douglas R. Hofstadter), die nicht einmal mit jener der Menschen hier unbedingt oder direkt etwas zu tun hat (bedingt und indirekt natürlich umso mehr). Wenn man aus verschiedenen Gründen emotionaler, historischer, ästhetischer, sozusagen landschaftlicher Natur versucht ist, das zu glauben, ist es leicht, sich eines viel Besseren belehren zu lassen. Das ist der Zweck meiner Seelenwanderungen im Bregenzerwald.

Dass ich heute von Mellau aus starte, hat mehrere praktische, auch banale Gründe. Neugier ist einer davon. Ein Reuthener Tischler und Zimmerer hat dort ein Haus aufgestellt, das mich interessiert, weil es Seelentiefe signalisiert, wie ich bei einer kurzen Besichtigung anlässlich der Bezauer Handwerksausstellung und einer virtuellen Begehung auf der Zimmerer-Homepage erspürt habe. Außerdem sind jene zahlreich, die das Mellental in höchsten Tönen loben und preisen. Freilich stellt sich die grundsätzliche Frage, ob sie nicht besser daran tun würden, zu schweigen. Denn nur das stille, das einsame, das menschenleere Mellental ist das echte Mellental.

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C Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus

Sie sollten sich hüten, Schaulustige – eine der frivolsten Kompanien, die den Planeten bevölkern – anzulocken, möchte der Seelenwanderer meinen. Erst als ich schon eine gute Stunde gewandert bin und das Dorf hinter mir gelassen habe, fällt mir mitten in meinen Reflexionen zu den Schattenseiten touristischer Erschließungen noch ein Grund ein, der mich nach Mellau gezogen haben könnte. Nennt man es nicht „das sündige Dorf“? Auch wenn die Sünden, die dabei angesprochen werden, längst vergangen, seit Jahrzehnten verjährt und nach heutigen Maßstäben sowieso kaum mehr der Rede wert sind.

Dennoch denke ich mir, Schritt für Schritt aufwärtssteigend dem Mellenbach entlang, mit den Tourenski an den Füßen tiefe Spuren in den meterhohen Schnee furchend, dass die Auseinandersetzung mit der Sünde auf der Suche nach der Seele nicht der schlechteste Begleiter ist. Und sei es nur, indem sie mich davor bewahrt, mich trügerisch idyllischen Klischees zu überlassen. Die nämlich sind ihrerseits wiederum eine ganz unbrauchbare Ablenkung, wo es um die Seele, ums Wesentliche geht. Für Konzentration sorgt ihrerseits auch die Anstrengung, die mir der Aufstieg abverlangt, einen im Gelände noch vagen, aber in meiner Planung exakten Punkt zwischen Hang- und Mörzelspitze anvisierend.

Ich will hinauf auf den Kamm und dann, morgen, auf der anderen Seite hinunter, nach Norden zu. Im Dornbirner Gütle werde ich erwartet am späten Nachmittag. Die Route ist mir vertraut von etlichen Sommerwanderungen. Das ist gut, denn jetzt, im tiefen Winter, sind die Anhaltspunkte rar gesät und andere geworden. Wie sich auch der Bregenzerwald anders präsentiert – je nach Interesse, das man ihm entgegenbringt. Eine „uninteressierte“ Sichtweise hat schon der Philosoph Schopenhauer gefordert, wenn es darum geht, die Dinge möglichst unverfälscht zu erkennen. Deshalb bin ich allein unterwegs. Ich will dem Wald auf den Zahn fühlen. Nein, noch mehr: Ich will mir von ihm auf den Zahn fühlen lassen.

Was bewegt sich in mir, wenn ich ihm, seiner Natur, gegenüberstehe? Die Sünde also. Ein gutes Thema, allein in einer leeren Alphütte, bei anbrechender Nacht, hart an der Grenze des Bregenzerwaldes zum Rheintal, aber immer noch deutlich innerhalb seiner Gemarkungen. Packend ist die Einsicht, dass Materielles in verschiedenen Formen für das Wälderische steht. Es ist das jahrhundertealte Holz der Hütte; es ist der Geruch des Holzes und der des Stalles, des Heustocks. Es ist nicht zuletzt dieungewohnte Stille, die nur vom Knistern der Glut im Herd und vom Knacken im Gebälk begleitet wird. Die Sünde verweist mich natürlich auf die Rolle des Menschen. Da ist es nochmals gut, allein zu sein. Keine Rücksichten, keine Floskeln, keine billigen Höflichkeiten, aber auch keine Grobheit verzerrt den Kontakt mit der Wälderseele. So bin ich wieder bei der Frage von Körper und Geist gelandet. Einerseits nämlich wohnt die Seele der Region in der Natur, in dem, was gleich geblieben ist seit Tausenden von Jahren. Abgesehen von der natürlichen Veränderung durch die Einflüsse der Witterung. Andererseits sind es die Menschen und ihre fast omnipräsenten Spuren: Alphütten, Wege, Dörfer, Gerüche, Geräusche, Klänge. Wie ich so nachdenke in der Stille, wird der Eindruck stärker, der Bregenzerwald sei ein immenses Gespinst. Kein Hirngespinst, nein, im Gegenteil, ein ganz konkretes Gespinst aus Tausenden und Abertausenden Fäden. Verdichtet zu Handwerk und Gewerbe, Geschichte und Gegenwart. Die Touristiker, habe ich gehört, wollen ihn sogar vermarkten, also verkaufen, den Bregenzerwald. Sie meinen das zwar nicht so wörtlich, doch sie tun’s umso engagierter. Was verkaufen sie da? Die Berge und die Täler und die Flüsse können es nicht sein. Die Menschen und die Tradition und die Häuser eigentlich auch nicht. Bleibt nur die Seele. Schon immer war der Handel mit der Seele, der Seelenverkauf ein starkes Motiv in vielen Märchen und Erzählungen, besonders drastisch beim alten Faust. Nie hat der Seelenverkauf ein gutes Ende genommen. Nie hat der Verkauf der Seele (an den Teufel, an wen sonst?) den erhofften Gewinn eingebracht. Weil er sündhaft ist, das Sündhafte schlechthin? Worum geht es bei diesem Verkauf? Was macht ihn so zielsicher verderblich? Worin liegt sein unwiderstehlicher Reiz? Er berührt, und damit komme ich ans Ende meiner nächtlichen Überlegungen, er berührt die Hybris von Mitteln, die sich zu Zwecken erheben. „Die Ökonomie hat es so intensiv wie niemand sonst mit der Verdichtung oder gar Vernichtung von Raum und Zeit zu tun“ (Jürgen Osterhammel). Da haben wir es wieder: Nichts und niemand lebt so sehr von der Grenzsetzung wie die Seele. Das haben mich meine Wanderungen gelehrt: Dass das Eigene nicht zu messen sei an der Welt und die Welt nicht am Eigenen. Weil sie zwei Ganzheiten sind, die sich auf die vielfältigste Weise berühren, ja ergänzen mögen, aber niemals eins werden. Es ist tiefe Nacht geworden. Ein Föhnsturm kommt auf. Wild zerrt der Wind an den Fensterläden. In meinem Stübchen ist es ganz ruhig. Das Herdfeuer ist erloschen. Ins klamme Federbett vergraben, wird mir langsam warm. Morgen werde ich weiter aufsteigen und ins Rheintal abfahren.

Autor: Peter Natter
Ausgabe: Reisemagazin Winter 2015-16

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