Ein Arbeitstag, der hier mit der Sonne um sechs Uhr beginnt, neigt sich zu Ende, die flachen Strahlen des frühen Abends tauchen, gefiltert durch die Läden des Schopfs, den Wohnraum in Halbschatten. In der Dämmerung geht der freie Blick über die Frühsommerwiesen von Hittisau. Ort und Zeit für Hermann Nenning, ein halbes Berufsleben Revue passieren zu lassen. „Verwegen ist es schon gewesen, als mein Zwillingsbruder Martin und ich vor anderthalb Jahrzehnten einen Betrieb eröffnet haben.“ Geradlinig verläuft der Weg vom Bauernhof dorthin keineswegs. Nach Jahren in anderen Berufen erinnert sich Hermann beim winterlichen Holzschlagen der Faszination des Stoffes. Er beginnt eine Zimmererlehre, sein Bruder Martin ist ihm darin schon vorausgegangen. „Manchmal braucht es Zeit“, sagt er schmunzelnd, „die Neigung, die ureigen ist, zu finden.“
Allmählich erschließen sich die beiden Brüder die Dimension des Könnens – und die Eigenart des Berufes: Es ist der Zimmermann, der einen Bau mit dem Dach bekrönt, der den Baum aufzieht. Von Anfang an errichten sie ganze Holzhäuser von der Kellerdecke weg. Der neue Holzbau im Bregenzerwald und seine Architektur sind ihr Maß, der Ständerbau ist ihr Standard, dazu kommen Massivbauten mit großflächigen Tafeln in Brettstapelkonstruktion. „Solche industriellen Halbzeuge kaufen wir als kleiner Betrieb zu. Dabei könnte ich meine Tage mit Nachlesen neuer Richtlinien und Normen verbringen, so drängt die Flut der Regeln.“ Zum Glück wird die Regelflut durch das hohe Niveau des beruflichen Könnens im Bregenzerwald eingedämmt, woran der „werkraum bregenzerwald“ großen Anteil hat.
„Heute erstellen wir Pläne mit CAD. Wobei für mich der Wert einer Bleistiftzeichnung von Jahr zu Jahr steigt: etwa jene des Architekten Leopold Kaufmann für sein herausragendes Wohnhaus in Hittisau. Einige Blätter, übersichtlich und alles drin, vom Maurer über Spengler, Innenausbau und Zimmerer – gesättigt mit Bau- und Lebenserfahrung, ein Zeugnis von geistiger Kraft. Dagegen heute: Papiermengen, Zahlenkolonnen und mitunter irreale Präzision.“ Welch ein Kontrast zum Zwiebeldach des Kirchturms von Hittisau. Genauigkeit hat da eine ganz andere Wertigkeit. Handwerker arbeiteten früher mit Toleranzen – sie waren vielleicht sogar das Wesentliche. „Bei der Sanierung dieses Daches muss ich wieder dazulernen: von der Präzision etwas ablassen, geschmeidiger werden. So wird Bauen zur Sache des persönlichen Einsatzes, weniger der buchhalterischen Abwicklung.“