Vorarlberg hat eine lange, aber wenig bekannte Reihe an Sakralbauten. In der publizistischen Darstellung dominieren Wohnbau und öffentliche Gebäude, dennoch finden sich in den Werkverzeichnissen fast aller wichtigen Architekten Umbauten, Sanierungen und Kleinbauten von Gebäuden für religiöse Zwecke. Das mag zum einen an der starken Verankerung der katholischen Kirche im Bewusstsein und im öffentlichen Leben der Vorarlberger liegen, hat aber auch mit einer bemerkenswerten Nähe der Vorarlberger Avantgarde zu kulturoffenen Vertretern von innerkirchlichen Erneuerungsbewegungen zu tun.
Die über Jahrzehnte weit verbreitete Haltung einer „dienenden Ernsthaftigkeit“ unter den Architekten und ihr zuweilen ethischer Anspruch in Gestaltungsfragen kamen und kommen solchen Bauaufgaben ebenfalls entgegen. So errichtete der legendäre Clemens Holzmeister 1926 in Bregenz-Mariahilf seine erste Kirche, einen Rundbau, der im Geiste der im 19. Jahrhundert aufkommenden „Liturgischen Bewegung“ die Gemeinschaft der Gläubigen in den Vordergrund stellt. Der Kirchenbau im 20. Jahrhundert vollzog allgemein eine Abwendung von der hierarchischen Anbetung hin zum Erleben der Liturgie, gemeinschaftlich oder als kontemplative Einzelerfahrung.
Neue Ansätze im Vorarlberger Kirchenbau
Gegen den Widerstand und gegen das kulturelle Beharren von Amtskirche und gesellschaftlich konservativen Strömungen entstanden vereinzelt Sakralbauten, die als architektonische Leistung noch immer gewürdigt werden. Etwa durch die Inszenierung von natürlichem Licht und Material in einem weitgehend leeren Raum, um eine vergeistigte, transzendente Wirkung von Architektur zu erzielen. Diesem Ideal folgte 1960 der junge Hans Purin beim Umbau der Klosterkirche Mehrerau in Bregenz. Damals vermochte er eine Generation von jungen Patres auf die radikale Urform des zisterziensischen Bauens einzuschwören. Er ließ den mit Einbauten aus dem 19. Jahrhundert überladenen Kirchenraum vollständig ausräumen. Reduziert auf einzelne, sakrale Skulpturen und Wandkunstwerke, rückten Innenschau und die Erfahrung der Gemeinschaft in den Vordergrund.
Die Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1964) waren bis weit in die 1970er von zahlreichen modernistischen Kirchenneubauten im Geiste dieses liturgischen Wandels geprägt. Danach trat der Sakralbau in den Hintergrund der Architekturentwicklung. Erst ab den 1990er Jahren kam es vermehrt zu Umbauten historischer Pfarrkirchen, die nun den Dialog zwischen Alt und Neu dokumentieren. Zum traditionellen Typus der Kapelle lieferte 1989 der in Mellau geborene Architekt Helmut Dietrich mit seinem Neubau der Mellauer Wegkapelle Kau eine zurückhaltende, zeitgenössische Interpretation eines Sakralbaus. Fast zwanzig Jahre später – mittlerweile hatte die Architektur in Vorarlberg eine beachtliche Popularität erreicht – setzte Hugo Dworzak einen heiteren, aber formal radikalen Kontrapunkt dazu. Eine mobile, aufklappbare Kapelle von 2,5 mal 5 Meter für die Fan-Meile im Lustenauer Fußballstadion: eine schlichte Form mit steilem Satteldach und durchscheinender Bespannung. So setzte fast beiläufig ein wachsendes Interesse an sakralen Bauten ein. Nun sucht eine zumeist junge Generation im zunehmend überreglementierten Baualltag nach Rückbesinnung und elementaren Ausdrucksformen – eben auch im Sakralbau.