Gut hundert Jahre sind es her, da Adolf Loos durch die Verbindung der Wörter „Ornament“ und „Verbrechen“ dieses Tabu in die Architektenwelt setzte: Das Ornament gehöre primitiven Kulturen an. Der Mensch der modernen Zivilisation dagegen verhalte sich durch und durch rational und bewege sich schnörkellos durchs Leben. Aus war’s mit Schmuck und Zierde. Wie irrational ist die Zierde eines Bregenzerwälderhauses tatsächlich? Was jenseits eines kalkulierbaren Nutzens liegt, also „bloß“ schmückt, lässt sich nicht berechnen. Die Fenster des Giebels von unserem Haus im Vorderwald sind in ganz Vorarlberg einzigartig. Man findet freilich zahlreiche ähnliche Lösungen. Offenbar liegt auch dem Hausschmuck Regelmäßiges zugrunde. Zierelemente lenken die Aufmerksamkeit und heben etwas hervor.
Bestimmte Bereiche werden durch Schmuck ausgezeichnet. Dabei besteht so etwas wie ein Vokabular der Motive. Schmuck ist mehr als Zierde Beobachtungen der Ethnologie legen nahe, dass der Mensch sich schmückt, bevor er sich schützt. Die bemalte Haut bezeichnet, zeichnet aus, stellt Beziehungen zu Gottheiten und Mitmenschen her, nimmt dem Bezeichneten seine Nacktheit. Schmücken, bedecken und schützen liegen nah beieinander. Der Mensch tritt durch Schmuck in Beziehungen ein und hinterlässt Spuren. Jedes Zeichen, das ein Kind in den Sand gräbt, und jedes in Baumrinde geschnitzte Muster legen davon Zeugnis ab. Der Architekt und Theoretiker Gottfried Semper ging einst diesen Zusammenhängen nach: „Bekleiden und Maskiren “ – so seine Worte – seien so alt wie die menschliche Zivilisation und die Freude daran sei mit dem, was Menschen zu Künstlern macht, identisch. Im Textilen sah er den Ursprung des Bauens, im Winden den Ursprung der Wand, und damit der Raumbildung. Dieses „Geflecht“ verdankt sich handwerklicher Technik und ist mit einer Wahl verbunden: der zwischen beiden Bändern, die geflochten werden. Da zeigen sich Muster.
Im Verbinden, Verweben, Verknüpfen und Verknoten ist Technik von Schmuck nicht zu trennen. Im Gegenteil: Gerade die technische Vollendung, also die richtige Behandlung des Stoffs nach seinen Eigenschaften, lässt ihn selbst vergessen und treibt stattdessen Blüten – handwerkliches Können wird Kunst. Nicht nur die Wälderin mit ihrer Fertigkeit im Herstellen kunstvoller Textilien weiß davon. Auch ein Bauer, wenn er sein Haus errichtete – durch Verzinken, Verschränken, Überlagern und Schichten von Holzelementen. Das macht sogar der Dialekt deutlich: Das Stabilisieren der Wände durch Überlagern verzinkter Hölzer heißt „Stricken“. Aus Querschnitts- und Richtungswechsel leitet sich die Zahnleiste her. Aus dem Vorschub ein Profil. Handwerk bringt den Schmuck Die handwerkliche Technik mit richtiger Behandlung des Stoffes etwa zum besseren Wetterschutz ergibt Muster, die zu Ziermotiven stilisiert werden können. So sind es die Übergänge, wo eins zum andern kommt, eins mit dem andern je besonders verbunden ist, die Schmuck zeigen: Stützen mit Balkenauflager, Hausecken, Fenster und Türen oder auch Wandabschlüsse. Hier verknüpfen Muster die verschiedenen Teile. Und treiben besondere Blüten an ganz besonderen Stellen: etwa, wo die rechtwinklig geordneten Flächen der Wände an das Dach stoßen, also im dreieckigen Giebel.