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1.5. - 31.10.2024

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C Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus

Scharf wie die besten Stunden

Scharf wie die besten Stunden

Den ganzen Tag lang zu einem Gipfel hinaufstapfen? Klar, mit Thomas Dietrich macht es Sinn. Denn oben angekommen, zeigt er, wo man die schönsten Spuren durch den Schnee ziehen kann.

In der Nacht hat es geschneit. Alles ist wieder glatt und clean. Als hätte ein Riese ein frisch gestärktes Laken über die Berge ausgebreitet. Nebel wabert um die Gipfel. Wer wird diesmal die ersten Spuren in den ungewalzten Schnee zeichnen? Schneehasen? Bergdohlen? Westwind bläst Pulver über eine Felskante. Da! Zwischen Himmel und Erde taucht eine neongrüne Gestalt auf: Muss Thomas Dietrich sein. Denn dort, wo sich sonst nur Gämsen hinwagen und den meisten Skifahrenden schon beim Hinschauen schlecht wird, schiebt er am liebsten seine Skispitzen über den Grat. Dann stürzt er sich in anmutigen Kurven eine extrem steile Rinne nach unten.

Früher war Thomas Dietrich einer der wenigen, die so etwas wagten. Bis in die späten Nachmittagsstunden konnte er allein mit Hasen und Bergdohlen Spuren malen. Doch seit ein paar Jahren ist die Wildbahn alles andere als frei. „Das liegt vor allem am Material“, erklärt er. Mit Snowboards und breiten Ski hat jedes Kind im Tiefschnee Spaß. „Früher, als es nur die langen, schmalen Ski gab, fuhren nur die guten Skifahrer abseits der Piste.“ Heute werden in wenigen Stunden ganze Hänge von Skifahrenden umgeackert. Was früher Geländeskifahren hieß, nennt man jetzt Freeriden. Es ist zu einem Trend geworden, der vor allem jenen gefällt, die ihn mitmachen. Ein Halleluja für Plante Snow Sie gleichen einer Religionsgemeinschaft. Ihr Gott ist der Berg, ihre Göttin Frau Holle, ihre Priesterschaft prognostiziert das Wetter und aus ihrer Bibel beten sie auf Englisch. Freerider sprechen von Powder-Alarm (Pulver-Alarm) im Backcountry (Hinterland) mit vollgerockten Ski samt Tip und Tail (vorne und hinten gebogen). Sie analysieren die Lawinengefahrenmuster im Outback und testen ihre Personal Velocity (persönliche Geschwindigkeit). Sie checken permanent das White Risk (weißes Risiko), die Spots (besten Stellen), die Schneehöhen, und sie beobachten, was die anderen auf YouTube oder in ihren Blogs so treiben. Sie studieren das Outfit der anderen und stellen fest: Wer uncool Ski fährt, wirkt mit coolen Klamotten doppelt uncool. Aber wer will und hat, kann dafür so viel Geld ausgeben wie fürs Golfen oder Segeln. Sir Edmund Hillary wäre jedenfalls glücklich gewesen, wenn er bei der Erstbesteigung des Mount Everest die Funktions-Unterwäsche eines Freeriders gehabt hätte. Geschweige denn den Rest der Ausstaffierung wie eine beschlagfreie Brille, handgefertigte Ski, einen Rucksack mit integriertem Rückenprotektor samt Schlauchführung für das Trinksystem und Freeride-Maps mit farbig markierten Off-Pisten.

 

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C Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus

Fanatiker, die zwischen dem Freeriden Geld verdienen müssen, fallen regelmäßig in ein schwarzes Loch, wenn sie bei Neuschneezuwachs nicht vor Ort sein können. Am allerschlimmsten ist es aber, wenn einer ihrer Brothers auf einer Community-Page verkündet: „I am in Japan.“ Japan gilt im Augenblick als ultimative Powder-Destination, gleich nach Alaska und dem Bregenzerwald. An der Schule vorbeigefahren Thomas Dietrich kümmert wenig, was die Heiligen der Letzten Schneetage treiben. Das, was er tut, tut er schon immer. Aus Hingabe und nicht wegen eines Trends. Seine Eltern waren keine Skifahrer. Trotzdem kam er als Dreijähriger in den Besitz von Ski. „Wir haben damals in Schwarzenberg gewohnt. Es gab ein Taxi, das Skifahrende zu den Haldenliften und aufs Bödele brachte. Als kleiner Bub hab ich das schnell mitgekriegt. Der Taxifahrer setzte mich den Gästen im Wagen auf den Schoß und warf meine Ski in den Kofferraum. So kam ich mit. Geld hatte ich keines. Ich war immer allein unterwegs. Dann zogen wir nach Mellau.“

 

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C Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus

Thomas Dietrich sitzt in der Elsenalpstube und wartet darauf, dass sich der Nebel verzieht. Am steilen Hang gegenüber der Bergbahn Mellau wuchs er auf. Im Winter fuhr er mit den Ski zur Schule. Und ließ die Schule eines Morgens einfach im Tal liegen. Mit den Liftmännern gondelte er zwei Wochen lang den Berg zum Skifahren hinauf und abends wieder hinunter. Telefon gab es damals keines in der Familie. Schließlich kam ein Brief, in dem der Lehrer fragte, wie schwer denn die Krankheit des Buben sei. Von der Mutter gab’s eine Tracht Prügel. Doch heilen konnte ihn das nicht. Im Gegenteil. In der Skihauptschule in Schruns fuhr Thomas mit Mario Reiter, dem späteren Olympiasieger, um die besten Plätze. Die Frist für die Aufnahme im Skigymnasium Stams verpasste er, ging stattdessen nach St. Christoph, wurde Skilehrer und Skilehrer-Ausbildner. In Kanada gewann er 1999 die Tiefschnee-Weltmeisterschaft. Etliche Jahre bezwang er auf einsamen Skitouren jedes noch so schwere Gelände im Bregenzerwald.

 

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C Adolf Bereuter - Bregenzerwald Tourismus

Er weiß, worauf es ankommt und welche Ausrüstung wirklich wichtig ist. Dilemma mit tödlichem Potenzial Passionierte Schneemenschen tun alles für den Powder. Auch wenn sie gemeinsam in einem Dilemma stecken: Die schärfsten Abfahrten erleben sie dann, wenn viel Neuschnee gefallen ist. Leider herrscht ausgerechnet dann die größte Lawinengefahr. Für den Ernstfall tragen sie LVS (Lawinen-Verschütteten-Suchgeräte), Sonden und Schaufeln bei sich. Thomas Dietrich erkundigt sich bei seinen Gästen als Erstes nach dieser Grundausstattung. Wer ihn als Tourenführer will, kennt in der Regel das hohe Risiko und ist ausgestattet. „Ich bin eher vorsichtig. Bei Lawinenwarnstufe 3 bis 4 muss ich nicht in einen Hang, der steiler als 35 Grad ist.“ Jeder im Bregenzerwald kennt jemanden, der jemanden kennt, der verschüttet wurde. Trotzdem verlangen Freerider, die sich bei Thomas melden, nach Abfahrten – egal, ob er dabei ein schlechtes Gefühl hat. „Fast täglich kehre ich um.“ Doch erst wenn er die Verantwortung ablehnt und geht, hören die Gäste auf ihn. Schon mehrmals musste er einem vorbeirauschenden Schneebrett ausweichen.

„Du brauchst immer einen Plan B.“ Den Kick des Unausweichlichen sucht er nicht. An seine Grenzen stößt er ohnehin. An innere und äußere. Dabei geht es auch darum, die Grenzen um die Lebensräume der Tiere zu respektieren. „Es kommt oft vor, dass ich Gämsen sehe, dann fahre ich nicht auf sie zu, sondern nehme eine Variante, bei der sie mir zwar hinterhersehen, aber nicht kilometerweit fortspringen müssen.“ Plötzlich reißt der Nebel auf. Thomas wird unruhig. Ich bin dann mal weg.

Wer Thomas Dietrich für eine Skitour bucht, sucht Stille und Natur. Der Aufstieg kann je nach Wunsch eine Stunde oder fünf Stunden dauern. Gekrönt wird er mit einer unvergesslichen Abfahrt. Doch dieses einmalige Erlebnis reicht den meisten Freeridern nicht. Sie steigen nur auf, wenn sie Aussicht auf einen Hang ohne Spuren haben. Thomas achtet darauf, nur Einzelpersonen oder kleine Gruppen zu führen. „Zu große Gruppen verursachen unzufriedene Gäste: Die einen sind über- und die anderen unterfordert.“ Auf seinen Skitouren lernt er die Menschen kennen. Das lange Gehen in der Stille und die Konfrontation mit sich selbst bringen Sorgen an die Oberfläche, die man loswerden will.

Der Bregenzerwald bietet viele Möglichkeiten, seine Sorgen der Natur zu überlassen. Alberschwende, Bödele, Bizau und Schwarzenberg sind bekannt für leichte Touren. Man kann sie ohne Skiführer gehen. Einheimische machen sich oft noch nach der Arbeit mit Taschenlampen auf den Weg. Sie treffen einander in Hütten und fahren um Mitternacht wieder ab – Skipisten und Handyempfang in der Nähe. „Bei einer richtigen Skitour bin ich wirklich weg“, sagt Thomas. „Wenn ich dort Hilfe brauche, wird es aufwändig. Teilweise gibt es keinen Handyempfang. Das würde ich nie ohne Guide machen.“ Als Bergretter weiß er, wovon er spricht. Jetzt muss er aber wirklich los. Wenig später stürzt er sich zwischen verkrüppelten Bäumen eine Felsrinne herab, so steil, dass seine Hand im Schnee streift. Er ruft und lacht: „Besser als Sex!“

Autorin: Irmgard Kramer
Ausgabe: Reisemagazin Winter 2016-17

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Die „Eintrittskarte“ zu bewegten und genussvollen Erlebnissen ist die Gäste-Card Bregenzerwald & Großes Walsertal. Sie gilt für Bergbahnfahrten in aussichtsreiche Höhen, umweltfreundliche Fahrten mit öffentlichen Bussen und erfrischend-entspannende Freibad-Besuche.

Die Gäste-Card erhalten alle kostenfrei, die zwischen 1. Mai und 31. Oktober 2024 drei oder mehr Nächte in einer der 28 Partnergemeinden verbringen. Sie gilt vom Anreise- bis zum Abreisetag und wird von den Gastgeber*innen ausgestellt.

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