Nicht weil ich mich zu den großen Entdeckern zähle, aber weil die Entdecker und Forscher oft stromaufwärts vorgegangen sind, sei es in Afrika, in Südamerika oder in Asien, am Orinoko, am Amazonas, am Kongo. Und weil ich hinter das allzu Bekannte kommen möchte, wandere ich eines sehr frühen Morgens in diesem großen Sommer 2015 das Achtal einwärts. Schönes Wetter ist angesagt für die nächsten vier, fünf Tage; stabiler, verlässlicher Hochdruckeinfluss. So ist mein Rucksack noch ein wenig schwerer geworden als bei anderen Wanderungen. Er soll mir Autonomie gewähren auf dem Weg durch die Täler zu den Bergen.
Heute wird mein Ziel noch nicht sichtbar sein. Es liegt, von Bregenz aus gesehen, weit im Südosten und verheißt vielstündiges Gehen. Eigentlich ist es nicht mein Ziel – es ist ein ferner Punkt, den ich nicht erreichen, den ich umgehen werde. Trotzdem leitet er mich. Der Hohe Ifen und die Gottesackerwände fungieren als riesige Landmarke. Auf mich gestellt will ich sein bis übermorgen, wieder einmal auf der Suche nach der Seele des Bregenzerwaldes. Meine Route ist in keinem Wanderführer empfohlen, auf keiner Karte eingezeichnet (noch nicht). Es ist, weil es mir ja um die Seele zu tun ist, ein sentimentaler Marsch. Grob sei geschildert, wo er verläuft. Von Bregenz aus also, meiner Heimatstadt, sofern ich eine habe und haben will, folge ich der alten Wälderbahntrasse bis zur Mündung der Subersach, die mir ab jetzt die Richtung vorgibt. Ich lasse Weg Weg sein und suche mir selbst ein Fortkommen.
Was mich leitet, sind Kirchtürme bzw. Kirchenglocken: Lingenau, bald schon Hittisau. Nein, nicht bald schon, denn ich lasse mir Zeit, ich nehme mir Zeit. Oder noch richtiger: Ich überlasse mich der Zeit, lasse mich von ihr ebenso einnehmen wie vom Plätschern der glasklaren, kühlen Subersach, die ihrem schönen Namen alle Ehre macht. Schließlich erreiche ich nach einer ersten Nacht in der Natur Sibratsgfäll. Dort halte ich mich an einer großen Flusskreuzung links, gehe dem Bach entlang, bis er sich verliert oder ehe ich ihn verliere am Fuße des Hohen Ifen. Dann wird es richtig abenteuerlich. Es könnte zumindest abenteuerlich werden, wenn man es drauf anlegt oder einfach übermütig und selbstvergessen genug ist. Für mich ein Grund mehr, mein Thema, die Seele, fester ins Auge zu fassen, aufmerksam und achtsam vorzugehen.