Herrgottsfrüh, Fronleichnam. Noch schläft das Dorf. Im Nieselregen öffnen sich einige Haustüren. Vierzehn junge Frauen kommen hervor, steigen auf Fahrräder, manche noch den Schlaf im Gesicht – zu lange im E-Werk gewesen, der „Wälderdisco“. Aus allen Richtungen streben sie zum Pfarrheim, um in Muttergottesträgerinnen verwandelt zu werden. Hier hängen Bregenzerwälder Trachten über Bergen von Haarklammern, Bürsten und Kämmen, darunter ein Fön. Noch während sie frisieren und zopfen, fangen die Frauen zu streiten an. Der Anlass ist ein Werbeplakat von einem Juppenmädchen mit Nasen- und Zungenpiercing. In den Zeitungen steht: „Aufregung im Would“, „Juppen Wirbel“, „Reibungen zwischen den Generationen“. In Leserbriefen, Internetforen und am Stammtisch wird polemisiert. Manche „ehren das Alte“ recht aggressiv, andere kritisieren, dass „das Neue zu wenig gegrüßt“ wird, wie es in der Wälder liebstem Gedicht heißt. Geht es um die Juppe, geht vielen das Geimpfte auf. Auch wenn das Wort aus dem Französischen stammt – „Jupe“ für „Rock“ –, im Bregenzerwald wird die Juppe als das Ureigenste empfunden. „Die Juppe ändert sich, und das ist gut“, sagt Martina Mätzler von der Juppenwerkstatt in Riefensberg. Der Bändel, ein schmales Samtband am Frauenhals, wird wieder auf Samt gestickt. Neuerdings empfiehlt sie den Juppenträgerinnen, die zu Beratungen kommen, einen schwarzen Seidenschal. „Das ist femininer und gediegener.“
Im Jahr 2002 trug die Politikerin Anna Franz eine Perlenkette um den Hals zur Juppe – und der Bregenzerwald hatte wie weiland Marie Antoinette seine Halsbandaffäre. Ihr Ursprung lag im Jahr 1969, als sich Frauen plötzlich die Haare abschnitten. Das war modern, allerdings mit der Juppe nicht in Einklang zu bringen. Um die Juppe für die modernen Frauen akzeptabel zu machen, organisierte Anna Franz’ Mutter eine Modenschau im Gasthof Gams in Bezau. Dort ließ sie kurzhaarige Frauen in der Juppe auftreten. „Der Zopf muß ab!“ So betitelte eine Leserbriefschreiberin am 21. März 1969 in den „Vorarlberger Nachrichten“ das skandalöse Ereignis. „Viele betrachteten es als eine Provokation, aber die vielgeschmähten Konservativen brachten es immerhin fertig, daß nicht eine Bezauerin sich mit kurzen Haaren präsentierte. Zugegeben, der Zopf, den die Wälderin heute trägt, wirkt altmodisch.“ Die Schreiberin konnte nicht ahnen, dass sich ein halbes Jahrhundert später Juppenträgerinnen blonde Zopfperücken aufsetzen werden, um der Tradition zu entsprechen. Damals bekam die sechzehnjährige Anna die Anfeindungen gegen ihre Mutter zu spüren: Sie solle wieder dorthin zurück, wo sie hergekommen war, nämlich in den – Vorderwald, was in der Vorstellung mancher Wälder offenbar einer Verbannung gleichkommt. Eigentlich wollte Anna nie wieder etwas mit der Juppe zu tun haben. Bis sie 1998 Bürgermeisterin wurde. Man bat sie, Tracht zu tragen. Vier Jahre ließ sie sich Zeit. Schließlich kleidete sie sich anlässlich einer Handwerksausstellung in eine rotgemiederte Juppe und legte dazu eine Perlenkette an. Der Festakt wurde im Lokalfernsehen gezeigt. Als Anna Franz nach Hause kam, riefen ihr die Kinder schon entgegen, dass ständig das Telefon läute. Anonyme Anrufer machten sie darauf aufmerksam, dass sie einen schweren Fehler begangen habe. Seither lässt Anna Franz die Perlenkette weg, wenn sie ihre Tracht anzieht. Um solche Fehler zu vermeiden, hat der Verein „Intracht“ eine Gebrauchsanweisung mit Empfehlungen zum Tragen der Juppe herausgebracht. „Die Gefahr ist groß, dass man sich Kritik von den Kirchgängern einheimst“, erklärt Martina Mätzler.